Axpo Hüttenpreis

Vom 28.06. bis 05.10.2014 lief die Aktion Axpo-SAC-Hüttenpreis 2014, bei der verschiedene SAC-Hütten besucht werden können. Nach dem Besuch der ersten Hütte hatte ich plötzlich die Idee, während der 100 Tage alle 58 Hütten zu besuchen. Dieses für einen Alpinisten etwas aussergewöhnliche Vorhaben eröffnet doch die ein oder andere neue Perspektive auf die Hütten, die ich lange Zeit als Mittel zum Zweck betrachtete. Bitte beachtet folgende Hinweise

Sonntag, 31. August 2014

Hüttenintermezzo - Feuermann und Casserolier

Vom 17. bis 31. August verbrachte ich zwei interessante, lehrreiche und auch anstrengende Wochen als Praktikant auf der Capanna Sasc Furä. Die Hütte liegt auf einem Bergrücken am Fuss der Badile Nordkante, einer klassischen alpinen Kletterroute mittlerer Schwierigkeit.
Abendstimmung
Diese Hütte war eine der ersten, die wir in den 80er Jahren besuchten, als wir die Granitwände und -kanten des Bergell in Angriff nahmen.
Kaffee Trubinasca
Nach einer etwas ungewöhnlichen Anreise über Arosa und Alvaneu brachte mich der Postbus zum Malojapass und von dort hinunter nach Bondo im Val Bregaglia. Als ich mit meinem Gepäck auf der Hütte ankam, war das Hüttenteam mit der abendlichen Hauptaktivität beschäftigt. Ich kam also gerade rechtzeitig. Nein, nicht zum Abendessen, sondern zum Abspülen.
Der Vorspüler
Und es sollte auch nicht das letzte Mal sein, dass ich dieser Tätigkeit nachging. Während der zwei Wochen konnte ich einen umfassenden Einblick in die Anforderungen eines Hüttenwartes erlangen. Diese erschöpfen sich nämlich nicht darin, den Gästen - hier vorwiegend Alpinisten und Bergwanderern - warme Mahlzeiten zu servieren, einen Schlafplatz zuzuweisen und abzukassieren. Es sind häufig auch technische und handwerkliche Fähigkeiten gefragt, man ist Psychologe, Ersthelfer und mehrsprachige Auskunfstdatenbank; logistische Herausforderungen sind zu meistern und Hygienevorschriften sind einzuhalten, um die wichtigsten Aspekte zu nennen. Und natürlich macht ein Hüttenwart dies nicht nur zum Spass, er muss auch davon leben.
Pizzo Trubinasca - Tiefblick auf den gleichnamigen Gletscher
Auch wenn mich nichts wirklich überrascht hat, empfand ich das Praktikum sehr hilf- und lehrreich. Zweimal hatte ich sogar die Gelegenheit, kleine Touren zu unternehmen. Gerne bereitete ich um 4 Uhr das Frühstück für die Frühaufsteher zu, um dann kurz nach ihnen selbst aufzubrechen. Mein Weg führte mich nicht zur Nordkante, sondern eher zu moderaten Zielen wie über die Sciora-Hütte und Passo Cacciabella Sud zur Albigna-Hütte oder auf den Pizzo Trubinasca, einen der seltenen Berge, von denen man fast gleichzeitig den Lej da Segl als auch den Lago di Como erblicken kann.

Meine Leidenschaft als Hüttenwarts-Praktikant entfachte sich schliesslich bei der aus meiner Sicht wichtigsten Haushaltstätigkeit, dem Holz hacken und Feuer entzünden. Hierbei liessen mir Chefin Heidi wie Köchin Joana stets den Vortritt, wohl aus Respekt vor der evolutionsbiologisch begründeten patriarchalen Dominanz auf diesem Gebiet. Und auch der Schornsteinfeger, der mit dem Bernina-Express einflog, war ein Mann.
Schornsteinfeger - So ist man schnell am Berg
Während der zwei Wochen auf der Sasc Furä konnte ich mein eigentliches Hüttenprojekt natürlich nicht mit vollem Elan verfolgen und lediglich die Sasc Furä-Hütte, quasi ein 'Heimspiel', und die Albigna-Hütte 'abhaken'.


Mittwoch, 13. August 2014

Alpine Kontraste - Regen und Sonnenschein

Strömender Regen war angesagt, und der Wetterbericht sollte mal wieder recht behalten. Das einzig Positive: Das Auto wurde nicht gebraucht und ich fuhr bereits abends nach Dienstschluss ins Val Ferret. Dort gibt es ja noch die 1200 Höhenmeter Aufstieg zur Cabane Saleinaz. Und ja, der Regen trommelte die ganze Nacht unaufhaltsam auf's Autodach, an Schlaf war eigentlich nicht zu denken.
Wecken um 5.30 und Kaltstart um 6:00 im immer noch strömenden Regen. Da ich mit dem Auto unterwegs bin, kann ich genügend Wechselklamotten mitnehmen. Denn jeder Outdoor-Aktive weiss, dass Regenkleidung nicht wirklich trocken hält. Je mehr Wasser von aussen abgehalten wird, umso mehr schwitzt man und umgekehrt. Von wegen "atmungsaktiv". Letztlich kommt es darauf an, nicht auszukühlen, und solange man in Bewegung bleibt und es nicht zu kalt wird, ist das auch kein Problem.
Cabane de Saleinaz im Val Ferret

Entsprechend befeuchtet kam ich an der Hütte an, und in der Tat, auf den letzten 100 Höhenmetern wurde es doch etwas kühl, die 0-Grad-Grenze war nicht mehr weit. Von der Hüttenwartin, die für ihre Sektion jedes Jahr 2 Wochen hier oben verbringt, wurde ich freundlich empfangen. Eigentlich hätte sie ja bei diesem Wetter niemanden erwartet. Auch dass ich nur leidlich französisch spreche (sie dafür umso besser deutsch), schmälert ihre Begeisterung kaum. Nach einer guten halben Stunde verabschiede ich mich nach unten und erreiche den "Parkplatz", genau 4 Stunden nachdem ich diesen Ort verlassen hatte.
Neuschnee an der Aguille d'Argentiere - Blick von der Hütte
Standortwechsel: Mit dem PKW über Gstaad nach Lenk, quasi auf dem Heimweg in den Aargau. Dort zur Iffigenalp, ein Tal mit einer herausforderenden Zufahrtsstrasse und entsprechender Regelung: Bergfahrten starten immer ab halb bis viertel vor, Talfahrten ab der vollen Stunde bis viertel nach. Auf der Alp dann rein in die nassen Bergschuhe (wenigstens die Socken waren trocken) und beim Gasthaus ja nicht schwach werden. Es warten mehr als 1200 Höhenmeter durch eine imposante Wand zur Wildstrubelhütte. Nicht weit von der Hütte entdecke ich etwas Militärisches. Hier ist die schweizerische Flugüberwachung aktiv, erzählt man mir auf der Hütte. Auf dem Rückweg narrt plötzlich die Sonne. Als wäre nichts gewesen, reissen die Wolken auf und geben den Blick frei ins Berner Oberland.

Abstieg von der Wildstrubelhütte - Blick nach Lenk
Unten komme ich dann auch fast trocken an, nur aus den Schuhen quellt noch etwas Wasser. Da mir die Abfahrtsregelung eine gute halbe Stunde Pause beschert, sitze ich auf der Terasse des Gasthauses und geniesse einen Kaffe-creme ... zumindest solange, bis die ersten Regentropfen wieder fallen.
Westliches Berner Oberland
Fakten:
Start am Parkplatz Val Ferret (6.00) - Cabane de Saleinaz (7.45), Abstieg (8.30-10.00)
Iffigenalp (12.45) - Wildstrubelhütte (14.40), Abstieg (15.00-16.20)
Höhenmeter: 1200 + 1250

Sonntag, 10. August 2014

Familienausflug am Sustenpass

Nach dem vorgestrigen eher anstrengenden Gspaltenhorn/Blüemlisalp-Abenteuer ging es heute etwas moderater zur Sache. Nahe des Sustenpass warten zwei Hütten mit zusammen genommen gerade mal 1000 Höhenmetern, wenn man - wie wir - direkt von der Passstrasse startet.
Am Leiterweg zur Sustlihütte
Heute liessen sich trotz widriger Wetteraussichten mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Meine Tochter war mit einer Freundin zu Besuch und es versteht sich von selbst, dass ich ihnen völlig uneigennützig die Schweiz von einer ihrer besten Seite zeige. Also ging es bei strömendem Regen im Aargau mit dem PKW in Richtung Gotthard und in Wassen das langgezogene Meiental hoch.

Sustenselfie
Auch hier führte letztes Jahr der Alpenbrevet vorbei und ich erinnerte mich genau an die Wasserstelle am Sustenbrüggli, unserem heutigen ersten Ausgangspunkt. Der Hüttenweg ist klar vorgegeben, nämlich direkt fast in Falllinie empor über einige für meine alpenferne Begleitung eindrucksvolle Leitern. Den Abstieg wählten wir etwas moderater und trafen kurz vor dem Parkplatz auf einige Bolderer, erkennbar an ihren riesig grossen Matrazen (sprich: Crash-boards) auf dem Rücken. So etwas gab es zu meinen Fontainebleau-Zeiten noch nicht. Wie sich die Zeiten ändern. Man darf gespannt sein, was uns ausrüstungstechnisch in 30 Jahren erwartet.
Bergluft macht schlank - an der Sewenhütte
"Und wenn wir schon mal hier in dieser Gegend sind, könnte man doch gleich die Sewenhütte mitnehmen", sprach es in mir, aber mir war sofort klar, dass meine jugendlichen Begleiter lieber am Gorezmettlenbach warteten, während ich diese Hütte noch schnell abhakte.

Freitag, 8. August 2014

Unterwegs an drei Frauen bei der Blüemlisalp

Bern ist eine Reise wert. Insbesondere dann, wenn der dienstbedingte Aufenthalt nur von 30-minütiger Dauer ist und der Anschlusszug ins Oberland minutengenau erreicht wird.
In Reichenbach im Kandertal, am Beginn des Kientals, wird in Europas steilste Postautolinie umgestiegen. Nicht weniger steil sind die ersten Meter von der Endstation in Richtung Gspaltenhornhütte, die ich - eine schöne Alm und unzählige wohlgenährte Schafe hinter mir lassend - nach knapp 2 Stunden erreiche.
Gspaltenhornhütte mit Morgenhorn
Zwischenstopp auf 2400 m Meereshöhe. Diese Gegend war mir - trotz eines Besuchs in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends - völlig unbekannt. Damals irrten wir im Nebel in Richtung Gamchilücke umher und suchten "... einen primitiven Unterstand mit Wasser in unmittelbarer Nähe", so versprach es der SAC-Führer. Da wir den Unterstand nicht fanden, dafür umso mehr vom nassen Element, sind wir unverricheteter Dinge wieder ins Tal gezogen, wo wir in Reichenbach (oder war es Frutigen?) die Kehlen auch von innen ordentlich befeuchteten.
Schlucht des Gamchigletschers
Exakt um Mittag machte ich mich von der Gspaltenhornhütte auf den Weiterweg über den aperen Gletscher in Richtung Hohtürli. Es geht etwas runter auf ca. 2000m und dann in konstanter Steigung zum eben genannten Törchen auf über 2700m. Ein Übergang ins Öschinental, das den späteren Abstieg nach Kandersteg vermittelt. Exakt 2 Stunden benötigte ich für die Hüttentraversale, wobei mich die letzten 150 Höhenmeter zum Türli an eine Rolltreppe im Stillstand erinnerte.
'Ufm Stock' teilt den Blüemlisalpgletscher
Wieder 2 Stunden später stehe ich dann an der Bergstation der Bergbahn zum Öschinensee, wo ich mir doch ein Abfahrtsticket gönne, nicht ohne zuvor die James-Bond Kulisse am See zu geniessen. An den Bergen um den Öschinensee war ich im letzten Jahrtausend mehrfach erfolgreich, und angesichts des eher erbärmlichen Zustands der Doldenhorn Nordwand bin ich froh, dass diese Tour abgehakt ist und von meiner Wunschliste verschwunden ist.
Öschinensee

Fazit: Ein viertel Tag intensiver Erlebnisse (und genauso intensinver Anstrengung) von der Griesalp zum Öschinensee mit zwei prächtigen Axpo-Hütten.
Nichts für Schafe mit Höhenangst
PS: Achso, die drei Frauen hätte ich fast vergessen. Man umrundet die Zahme, versucht sich an der Wilden und blickt auf die Wysse Frou bei dieser Tour.

Fakten:
Griesalp im Kiental (10.10) - Gspaltenhornhütte (12:00-12:15) - Hohtürli (14:00) - Blüemlisalphütte (14:05-14:15) - Bergbahn Öschinensee (16:10)
Höhenmeter: 2100

Sonntag, 3. August 2014

Familiäre Ausfahrt Göschenen

Wer kennt sie nicht, die Verkehrsmeldungen über den Stau am Gotthard und die dadurch bedingte Sperrung der Einfahrt Göschenen. Uns interessierte jedoch weniger die Einfahrt als die Ausfahrt Göschenen, die den Einstieg ins gleichnamige Tal vermittelt.
Salbitschijen Gipfelnadel (1985)
 Bereits in meiner Jugend ging von den Urner Alpen um Göschenen eine magische Anziehungskraft aus. Damals waren es die Sportklettereien am Gandschijen, die langen Gratrouten am Salbit und die Graue Wand in der Nähe des Furka-Passes. Das Salbit-Biwak am Fusse des Westgrats wurde von uns regelrecht belagert, einmal hielt uns eine mehrtägige Regenperiode gefangen, dann erzwang ein heftiges Gewitter einen geordneten Rückzug vom dritten Westgratturm, bevor wir im Jahr später mit einer für damalige Verhältnisse zügigen Begehung der über 30 Seillängen den Erfolg an der Gipfelnadel feiern durften.

Anni am Göscheneralpsee
Mehr als 29 Jahre später an diesen Ort zurück zu kommen, hat etwas Nostalgisches. Vieles Bekannte, aber auch Neue unter völlig anderen Randbedingungen. Mit Voralp-, Chelenalp- und Bergseehütte stehen nämlich drei Hütten mit auf den ersten Blick familienfreundlichen Anforderungen auf dem Programm.
Mein Plan, nach dem anstrengenden Windegg/Trift/Tierbergli Tag, einen eher relaxten Familientag einzulegen, ging nur bedingt auf. Unsere junge Entlebucher Sennenhündin Anni und Frauchen Tina legten nämlich ein Tempo vor, bei dem ich zwar mithalten konnte, das aber nichts mit der Abteilung "Wellness" zu tun hatte.

Erst auf dem Rückweg trat endlich Ruhe ein und es wurde etwas gemütlicher.

An der Voralphütte
Vier Wochen später ein ähnliches Szenario. Gerade war ich von der Susanfe/l'A Neuve/Trient Tour zurück, wurde in Richtung Chelenalp angegriffen. Am Schlussanstieg zur Hütte endlich wurde es technisch etwas anspruchsvoller, sprich: moderater. Auf dem Rückweg kam bei den Kuhherden nochmals Spannung auf, als Anni ihrem Hütetrieb nachgeben musste, sich aber dann doch gut zurückrufen liess. Da ich bereits zu Beginn des Unternehmens angekündigt hatte, am Schluss "schnell noch innerhalb einer Stunde auf die Bergseehütte zu springen", musste ich an der Abzweigung in den sauren Apfel beissen und meinen Sprüchen Taten folgen lassen.

Fazit: Ein schönes Tal und ein schöner Tag, knapp abeits der Gotthard-Blechlawine mit grossem Rückkehrpotential, spätestens in 29 Jahren.




Samstag, 2. August 2014

Königsetappe zwischen Lac Léman und Montblanc

Quasi am Rande der Eidgenossenschaft aber nichtsdestoweniger im Herzen der Alpen liegen zwischen Verbier und dem Montblanc die drei Hütten mit der höchsten absoluten Höhe. Aber wie heisst es so schön: 'Per aspera ad astra!' Und rauh, das heisst anstrengend, wurde es auf jeden Fall. Auch sind auf der Cabane du Trient (3170m) die Sterne zum Greifen nah, näher jedenfalls als auf jeder anderen Hütte der 'Axpo-Liste'.
Blick von der Cabane zum Trient-Plateau












Der erste Zug bringt mich mit Velo über Bern, Lausanne nach Champéry, dem Ausgangspunkt zur Cabane de Susanfe am Fuss der Dents du Midi. Diese Hütte liegt quasi auf dem Weg, wenn man aus der deutschsprachigen Schweiz über den Genfer See ins Wallis reist.

Mit dem Bike geht es die ersten Höhenmeter zunächst auf einer Asphalt-, später auf einer Naturstrasse über Champ de Barme zu einem kleinen Parkplatz. Nach Bike-Depot folgt ein Fussweg, der am Buvette-Refuge de Bonavau vorbei und glücklicherweise bald in eine felsdurchsetzte Zone führt. Der Regen der letzten Tage hatte den Wiesen-Trail in einen Morast-Pfad verwandelt, teilweise stecke ich knöcheltief im Sumpf.
Sonne und Wolken auf dem Rückweg nach Champéry












Einige Steilstufen sind mit Ketten gesichert und erfordern gerade bei Nässe ein konzentriertes Gehen. Bald ist der Pass d'Encel erreicht, mehr eine enge Schlucht als ein Passübergang, und es geht über eine längere Geröllpassage und dann offenes Gelände zur Hütte. Erst beim Abstieg lichten sich die Wolken und die Sonne zeigt sich.

Vom Bike-Depot geht es dann in rasanter Abfahrt hinunter nach Monthey, wo ich auf den Zug warte, der mich nach Martigny und Orsieres bringen soll. Damit hat sich die Mitnahme des Bikes bereits gelohnt, denn die Anbindung des Val d'Illiez an den öffentlichen Nahverkehr ist mehr als bescheiden. Nur, der Zug kommt nicht! Zumindest nicht an den Bahnhof, an dem ich warte.

Zu spät erst realisiere ich, dass es in Monthey zwei Bahnhöfe unterschiedlicher Bahngesellschaften gibt und ich ausgerechnet am falschen warte. Mir bleibt dann nichts anderes, als mit dem Bike der Rhone entlang nach Martigny und von dort ins Val Ferret zu radeln. Ein Zwischenstopp am Bahnhof von Sembrancher erinnert mich an eine fast unglaubliche Geschichte, die ich später genauer recherchiere: Das Wunder von Sembrancher.

Dreiländergipfel Mont Dolent
Erst nach 18 Uhr komme ich in La Fouly, fast am Talschluss des Val Ferret an. Hinter mir liegen 60km und 1300 Höhenmeter Asphalt. Mich lässt der Gedanke nicht los, doch noch zur Cabane de l'A Neuve aufzusteigen, eigentlich bin ich viel zu spät dran. Aber das Wetter ist stabil und irgendetwas in mir fühlt sich - warum auch immer - unausgelastet. Zügig ist das Bike am Campingplatz deponiert und schon befinde ich mich auf dem Weg zur Hütte, die ich gegen 20 Uhr erreiche. Was mich an dieser Hütte neben ihrer grandiosen Lage und dem fantastischen Ausblick zum Mont Dolent am meisten fasziniert: Man sieht sie nicht, wenn man nicht weiss, wo sie steht. Aber wenn man genau hinsieht, steht sie in voller Grösse vor einem.



Cabane de l'A Neuve (2735m) im Abendlicht
Der Smalltalk mit der Hüttenwartin hält sich aufgrund sprachlicher Defizite meinerseits etwas in Grenzen. Nein, ich hätte nicht reserviert, wollte aber auch nicht länger bleiben. 'Un visiteur de jour', der nur eine Rivella rot möchte. Als sie den Grund meines Besuches erfährt und realisiert, dass ich schon wieder auf dem Weg nach unten war, vernahm ich noch ein 'un fou', nicht ohne mir viel Erfolg für die nächsten Tage und mein Projekt zu wünschen. Gerne wäre ich länger hier oben geblieben und hätte noch mehr von den letzten Sonnenstrahlen genossen. Aber unten im Tal begann die Sonne sich schon zu verabschieden und der Plan für morgen sieht einen frühen Start vor. Kurz nach der Dämmerung bin ich wieder am Camping-Platz und erwische gerade noch eine der letzten Pizzen im Ort.

Der nächste Tag beginnt wettermässig wie der vorherige, der ein oder andere kleine Regenschauer trübt doch etwas die Euphorie, die wegen der Belastung am Vortag sowieso nicht so recht aufkommen will.
Petit Clocher du Portalet: Eines unserer Ziele der Jugend
Spätestens als sich der Petit Clocher du Portalet zeigt und dazu noch mit Sonnenstrahlen, werden Erinnerungen an frühere Zeiten wach. Aber nur kurz, denn das Leben wird ja im jetzt gelebt (und angeblich nach hinten verstanden).
Auf der anderen Talseite kann ich sehr früh schon ein weiteres Hüttenziel, die Cabane de Saleina ausmachen, die mir als Höhenorientierung für mein erstes Zwischenziel dient. Dort, an der Cab. d'Orny, komme ich nach 2 Stunden an, gerade rechtzeitig, um vor den anstehenden Vorbereitungen für Nationalfeiertag noch eine Rivella zu ordern. Zunächst wundere ich mich über die doch recht hohe Zahl von Tagestouristen - von denen ich ja selbst auch einer bin -, bis ich später feststelle, dass es von Champex einen seilbahnunterstützten Zustieg gibt, der bei 2200 Hm beginnt. Da ich diese Hilfsmittel höchstens beim Abstieg benutze und ich wegen des Velos meist zum Ausgangspunkt zurückkehre, hätte mir dieses Wissen sowieso wenig genutzt.

Von der Cab. d'Orny sind es gut 350 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt des gesamten Projektes, der Cabane du Trient. Nach der Querung eines seilversicherten Schutthangs öffnet sich plötzlich der Blick über das Plateau du Trient zum Col und Aguille du Tour. Jeder Haute-Route Skitourist kennt diese Gegend, handelt es sich hier um eine der Schlüsselstellen dieser Skidurchquerung von Argentiere nach Saas Fee.

Schade, dass ich allein und ohne entsprechende Ausrüstung unterwegs bin, denn hier gäbe es einen schönen Gletscherübergang zur Cabane de Saleina. Aber gut, man kann nicht alles haben ...

Cabane du Trient (3170m)
Auf der Hütte gibt es feinen Aprikosenkuchen, den ich mir nicht entgehen lasse. Ich nutze die Zeit, um mein weiteres Vorgehen zu planen. Wenn ich mich ranhalte, sollte ich gegen 13.30 Uhr beim Bike-Depot sein, Zeit genug, um noch die 1200 Höhenmeter zur Cab. du Saleina in Angriff zu nehmen. Doch es sollte anders kommen.
Beim Abstieg treffe ich kurz vor der Abzweigung ins Vall. d'Arpette de Saleina auf einen einzelnen Berggänger. Er sitzt mit aschfahlem Gesicht auf einem Stein. Ihm wäre etwas schwindlig und er habe Durst. Gerne nimmt er den Inhalt meiner Wasserflasche. Seine Gruppe müsste bald von oben kommen, man hätte ihn hier deponiert und würde ihn beim Abstieg wieder aufsammeln. OK, dachte es in mir, scheinen ja nette Kameraden zu sein. Und in der Tat kam nach einer knappen halben Stunde der Voraustrupp zurück, um dem Mitstreiter Beistand zu leisten. Ob sie meinen Hinweis wirklich befolgten, ihn nicht mit Dosenbier zu revitalisieren, kann ich nicht abschliessend beurteilen. Ich verabschiedete mich und wünschte alles Gute.

Dieser ungeplante Zwischenstopp hat mich doch etwas irritiert, gedanklich, aber auch was mein Zeitmanagement betrifft. Letztlich war es mir dann doch nicht so unrecht, mein zweites Tagesziel für heute aussen vor zu lassen und direkt mit dem Velo nach Martigny zu fahren. Ein Grund mehr, diesem eindrücklichen Tal einen weiteren Besuch abzustatten.

Fakten:
Tag 1:
Champéry (10.30) - Cabane de Susanfe (12.15) - Champéry (13.45) - (Velo) - Monthey (14.30)
Monthey (15.00) - (Velo) - Martigny - La Fouly (18.20)
La Fouly (18.30 ) - Cabane de l'A Neuve (20.00) - La Fouly (21.30)
Höhenmeter: 3700 (davon 1900 mit Velo)

Tag 2:
La Fouly (7:30) - (Velo) - Saleinaz - (Velo) - P. 1555 (8.15) - Cabane d' Orny (10:15) - Cabane du Trient (11.15) - P. 1555 (14.00) - (Velo) - Sembrancher - (Velo) - Martigny (15.30)
Höhenmeter: 2000 (davon 400 mit Velo)